Mineralwasser- und Bädertradition in der Region Scuol-Tarasp
Montag, 19. August 2019
Mit dem sonnigen und warmen Wetter ist es vorbei, in der Nacht hat es geregnet und etwas abgekühlt. Noch unschlüssig, wo ich heute hin möchte, ging ich frühstücken und anschliessend nochmals auf’s Zimmer. Ich blätterte die Broschüren durch, die den Feriengästen hingelegt werden, bis ich mich entschied, doch nach Scuol zu fahren. Aber anstelle der geplanten Etappe entlang dem Jakobsweg werde ich mich heute mit den Blütezeiten und dem Untergang des Bädertourismus im Engadin, am Beispiel des Kurhaus Tarasp, befassen und mehr über die heilende Kräfte der vielen Mineralquellen in Erfahrung bringen. Für den Nachmittag habe ich mich für die Dorfführung angemeldet.
Zwischen Susch und Scuol-Tarasp verkehren zur Zeit Bahnersatzbusse. Die Reisezeiten sind aber etwa gleich. Ab der Bahnstation Scuol-Tarasp folgte ich dem Wegweiser nach Nair, bald geht es ein Stück ziemlich steil abwärts. Dort unten steht das Kurhaus Tarasp später umbenannt in Scuol Palace, der Hotelbetrieb ist seit 2014 eingestellt und ob es je den Gästen seine Tore wieder öffnet, liegt noch in den Sternen, obwohl es immer wieder Pressemitteilungen gibt, die eine Wiedereröffnung ankündigen.
Der hier eingefügte 30 minütige Film (in Romanisch) gibt einen guten Einblick über die Problematik des Gebäudes, das nur eine kurze Blütezeit erlebte, aber doch viel zu schade dafür ist, es einfach kampflos dem Verfall hinzugeben und dieses durch neue, charakterlose, dafür den modernen Ansprüchen gerechten und stylisch stereotypen Gebäuden zu ersetzen.
Nun, neugierig, wie ich nun einmal bin, was spezielle Gebäude oder Wege anbelangt, habe ich das Gebäude, so unauffällig wie eben nur möglich, umrundet. Von aussen her gesehen, macht das Gebäude keinen verwahrlosten Eindruck, jedoch an der geplanten „Wiedereröffnung in Testphase im Sommer 2019“ scheint wenig Wahres dran zu sein. Türen standen zwar offen, (einzutreten aber wagte ich mich nicht, konnte aber einen Blick hinein und direkt auf eins der Wandbilder werfen). Da waren eindeutig Leute am arbeiten, ich hörte Stimmen, sah Bauutensilien draussen herumliegen und ein paar Bauarbeiter am arbeiten. Ich lief hinten herum zum Inn hin und betrachtete den grossen einst schönen Park. Die Stühle sind noch da, einige liegen umgekippt am Boden, so, als ob kürzlich noch Gäste da waren. Dass aber der Gärtner schon länger weg blieb, ist deutlich zu sehen. Das Hotel soll wieder als kosches Hotel geführt werden und jüdische Gäste ins Unterengadin bringen.
Zum Kurhaus gehört, neben der kleinen Kirche, als wichtiger Teil für einen gesundheitsfördernden Aufenthalt, die Trinkhalle. Darin verbrachten früher die Kurgäste viel Zeit und tranken die speziell für sie ausgewählten und verschriebenen Mengen der heilenden Wässerchen.
Die Trinkhalle kann leider nicht mehr besichtigt werden, da der Hang dahinter abrutscht und die Bausubstanz dadurch gefährdet ist. Da sind aufwendige Investitionen nötig, um den Bau der Nachwelt zu erhalten und wer weiss, ihm wieder eine neue Funktion inbezug auf die Bedeutung des Wassers für die Menschheit zuzusprechen. Wasser aus der Carolaquelle kann dafür nebenan gekostet werden.
Ein weiteres Haus mit grossem Namen, das an dieser Stelle ebenfalls erwähnt werden will, ist das Grandhotel Waldhaus in Vulpera das leider im Jahr 1989 einem Grossbrand zum Opfer fiel.
Doch sind die Zeiten der Badekuren sowieso vorbei. Heute geht das allgemeine Volk mal kurz „wellnessen“ ohne Kenntnisse der heilenden Kräfte der Wässer zu haben, spannt kurz im Becken mit warmem Wasser aus, lässt sich besprudeln und stürtzt sich wieder in den Alltagsstress. Nur, dass die Bäder heute allen Schichten offen stehen, ist anders. Man „gönnt“ sich eben zwischendurch mal eine kurze Ausszeit.
Die Gäste, die damals in den Badeorten weilten, blieben jeweils mehrere Wochen. Ich las auch, dass das Gesellschaftsleben vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert zu einem guten Teil in den Heilbädern abspielte. Auch einige gekrönte Häupter Europas verkehrten in den Kurhäusern im Unterengadin.
So betrachtete ich die Trinkhalle eben nur von aussen.

Anschliessend folgte ich dem mit Mineralwasserweg Scuol gekennzeichneten Weg bis zum Bad und dem Schulhaus dahinter, wo sich der Besammlungsort für die Führung befand.
Der Rundgang führte uns durch den unteren, alten Dorfteil und wir wurden über die Bauweise und deren Hintergründe der Engadinerhäuser informiert. Daraus habe ich festgehalten, das die früheren Bauern im Unterengadin nicht arm waren. Aufgrund des durchgängigen Tals, der Nähe zum Veltlin und zum Südtirol herrschte reger Güter- und Handelsverkehr. Die Engadiner hatten ein Flair für Estetik, sie mochten schöne Häuser und und schöne mit Arvenholz verkleidete Stuben. Früher waren die Häuser alle blütend weiss verputzt, was in der klaren Bergluft und dem reinen Licht ein schöner Anblick gewesen sein musste. Der zentrale Punkt des Alltags war der Dorfbrunnen, so sind bei allen Häusern die Stubenfenster so ausgerichtet, dass der Blick direkt auf den Brunnen ausgerichtet ist. War das aufgrund der Hausstellung nicht möglich, wurde entweder ein Erkerfenster eingebaut, und im schlimmsten Falle eine Guckscharte in der Mauer ausgeschart.
Speziell an den Engadinerhäuser ist, dass sie alle sehr gross sind und der Stall und das Wohnhaus unter einem Dach liegen. Hinter dem grosse Rundbogentor, das meist aus sechs Teilen besteht, (man denke an die Bilder im Buch vom Schellenursli) liegt der Soler, der Eingangsbereich, der als Arbeitsbereich im Winter und Aufbewahrungsort vieler Gebrauchsgegenstände diente. Dahinter liegt das Heulager und darunter, ebenfalls mit einem separaten unteren Eingang, sind die Viehställe. Vom Soler führt eine Tür in den Wohnbereich und in die Küche. Die Schlafräume befinden sich oben. Ebenfalls typisch sind die kleinen und unregelmässig angelegten Trichterfenster in den dicken Mauern.
Am Beispiel des Museumsgebäudes durften wir ein typisches Haus von innen betrachten. Am Ende der Führung gab es noch einen kleinen Vesper mit lokalen Trockenfleischspezialitäten und Käse und Brot dazu.
So habe ich einen höchst interessanten Nachmittag verbracht und bin um einiges an kulturellem Wissen reicher geworden.
Als ich mich am Abend auf den Rückweg machte, hat es zu regnen angefangen.
Für die Etappe 4 auf Route 43 (Via Son Giachen) von Scuol nach Guarda wäre mit einem Zeitaufwand von 4,5h, zu rechnen und auf den 15 Kilometer sind 760 Meter im Aufstieg und 380 Meter im Abstieg zu bewältigen.
Ohne dabei so viel wertvolles Wissen mitzubekommen, wie ich das heute erleben durfte.
Etappe 4, Scuol-Guarda, aus schweizmobil.ch mit Karte